Die Sache mit dem Erste-Hilfe-Kurs
Ich kann recht zufrieden sein mit meinem Arbeitgeber. So wird uns Indianern jedes Jahr die Gelegenheit gegeben, einen Auffrischungskurs im Bereich der lebensrettenden Sofortmaßnahmen (auf deutsch: Erste Hilfe) zu belegen. Und ich für meinen Teil sehe natürlich zu, dass ich jedes Mal teilnehme. Einfach eine kurze Auffrischung für die Situationen, die durchaus mal vorkommen können.
Und dann gibt es noch die Kollegen, die „halt mal mitmachen“, weil gerade Flaute herrscht. Die sind dann seit zehn Jahren das erste Mal wieder in so einem Kurs und müssen sich wieder an die Thematik herantasten.
Und jedes Jahr höre ich dann die gleichen Fragen und auch die gleichen Antworten zu bestimmten Fragen.
Eine dieser Fragen, die immer wieder gestellt werden, handelt von der Problematik, ob nach einem Motorradunfall dem gestürzten Motorradfahrer der Helm abgenommen werden soll / kann / darf. Und ich für meinen Teil denke, das sollte doch durchaus zu beantworten sein.
Wozu den Motorradhelm überhaupt abnehmen?
Die Situation (oder das Übungsszenario) ist ja immer ähnlich. Du (der Ersthelfer) kommst zu einem Unfall dazu, neben der Straße liegt der verbeulte und zerdellte Motorradfahrer, bewußtlos, von der Maschine geschleudert, Helm noch auf dem Kopf.
Und nun kommt die Frage, ob der Helm denn überhaupt runter muss. Immerhin liegt der Motorradfahrer ja gut, oder nicht?
Nun. Das ist so richtig. Wenn es denn nicht am Ziel vorbei gehen würde. Das Ziel der lebensrettenden Sofortmaßnahmen ist, wie der Name schon sagt, den Motorradfahrer eben am Leben zu erhalten, bis fachlich geschulteres Personal übernimmt. Und das Leben kann enden, sobald Atmung und / oder Herzschlag aussetzen. Und dies zu verhindern ist ja das Ziel des Ersthelfers.
Der Motorradfahrer liegt da und willst schauen, ob er noch atmet? unter mehreren Schichten Motorradbekleidung und Protektoren lässt sich das nicht immer leicht feststellen. Da hilft es doch vielleicht, auch mal kurz einen Blick auf den Verunfallten zu werfen. Insbesondere auf sein Gesicht. Hat er vielleicht Erbrochenes im Mund? Könnte er überhaupt atmen, selbst wenn er wollte? Du kannst es nicht sagen, immerhin hat er ja den großen Integralhelm auf dem Kopf.
Er hat vielleicht schon aufgehört zu atmen oder zumindest glaubst du das? Trotzdem kannst du da in keinster Weise helfen, wenn du nicht den Motorradhelm abnimmst und selbst nachschaust.
Daher die klare Empfehlung meines Erste-Hilfe-Trainers: bei einem verunfallten bewusstlosen Motorradfahrer grundsätzlich den Helm abnehmen.
Warum den Helm nicht abnehmen?
Wie kommt es dann, dass immer wieder die frage gestellt wird, ob es nicht besser ist, den Motorradhelm bei einem Unfall aufzubehalten?
Nun, man hört ja immer wieder von Wirbelsäulenverletzungen bei Motorradunfällen. Und ich denke mal, dass jeder Ersthelfer schlichtweg Angst hat, bei einem verletzten, bewusstlosen Motorradfahrer noch an der Wirbelsäule herumzuzerren, die möglicherweise beschädigt ist. Das Ergebnis könnte ja sein, dass am Ende jemand im Rollstuhl sitzt, nur weil man selbst zu stark am Motorradhelm gezerrt hat.
Und willst du nun tatsächlich dafür verantwortlich sein, dass wegen deines Fehlers jemand querschnittsgelähmt ist? Von daher halte ich die Frage danach zumindest für berechtigt.
Und was ist nun richtig?
Die Frage ist leicht zu beantworten. Bei einem Motorradfahrer der nach einem Unfall bewusstlos ist, muss der Helm runter. Das ist Fakt.
Die Tatsache, dass eine bestehende Verletzung im Bereich der Halswirbelsäule verschlimmert werden könnte, ist hier kaum von Belang. Die Kontrolle und gegebenenfalls Unterstützung der Vitalfunktion „Atmen“ hat schlichtweg Vorrang.
Der Sanitäter, der bei uns im Geschäft den Kurs gab, erklärte diesbezüglich, dass er in all seinen Jahren noch keinen einzigen Fall hatte, wo das Abnehmen des Motorradhelms zu einer Verschlechterung des Zustands führte. Und ich glaube ihm das.