Was einem beim Putzen so auffällt
Schönes warmes Frühlingswetter. Die BMW wird gewaschen und kommt zur 70.000-Kilometer-Inspektion zur Werkstatt, die DR650 wird bei mir zu Hause gewartet. Und vor der Wartung steht zunächst mal gründliches Putzen an. Ich will ja möglichst wenig ölige Finger bekommen…
Und während ich so noch am Putzen bin und die Sitzbank abnehme, fällt mir die Rolle mit dem Bordwerkzeug meiner DR650 in die Hand. Und regt mich zum Nachdenken an.
Ich halte hier eine (sehr bescheidene) Werkzeugrolle in der Hand, die so alt ist, wie mein Motorrad, nämlich 27 Jahre. Und, ein Blick auf das Bordwerkzeug genügt hier, die Teile wurden noch niemals benutzt.
Keine einzige Arbeit wurde mit dem Bordwerkzeug am Motorrad durchgeführt. Und dies in knapp 30 Jahren Motorradleben.
Gut, jetzt ist die Suzuki nicht gerade ein klassisches Reisemotorrad und hat dementsprechend auch nicht gerade viele Kilometer auf der Uhr. Aber irgendwie sollte man doch meinen, dass die Rolle mit dem Bordwerkzeug irgendwann einmal gebraucht wurde.
Dies führt mich zu einer Grundsatzfrage
Wer braucht denn noch Bordwerkzeug?
Wer einen Blick in die (glorifizierte) Vergangenheit wirft, der mag sich (getrübt durch Geschichtsverklärung) noch daran erinnern, wie es „früher“ war. Damals gehörte zum Motorradfahren auf jeden Fall noch das Basteln, Schrauben oder irgendwelche Wartungs- und Reparaturarbeiten.
Bei jedem Urlaub mit dem Motorradstammtisch kam irgendwann mal der Punkt, wo eines der Motorräder unterwegs den Geist aufgab. Wo die Zündung versagte, weil der Kupferwurm drin war, wo ein Plattfuß entstand, der erst in der nächsten größeren Stadt zu flicken war. Oder wo auch mitten in der Pampa Lagerschaden den Motor fest gehen ließ. Und dann wurde die ganze Gruppe angehalten und der Schaden mehr oder weniger professionell am Straßenrand (alternativ: auf dem Campingplatz / in der Hotelgarage) mit den Bordmitteln geflickt.
Das ging, das war so üblich. Es ging bereits aus dem Grund, weil jeder, der mit dem Motorrad unterwegs war, gewisse Grundkenntnisse und eine Affinität zu ölverschmierten Fingern mitbrachte. Das ging auch deshalb, weil jeder Motorradfahrer unter seiner Sitzbank (alternativ: in der Gepäckrolle, im Tankrucksack) einen kleinen bis mittleren Werkzeugsatz mitführte. Von Ersatzteilen ganz zu schweigen.
Und ich kann das auch verstehen. Auf meiner ersten mehrtägigen Tour habe ich auch einen Werkzeugsatz mitgeschleppt, dazu noch ein paar Schrauben in den gängigsten Größen (auf gut Glück), ein Fläschchen Öl sowie Draht, Klebeband und einige Dichtungen. Und tatsächlich, auf dem Heimweg, etwa 20 Minuten von zu Hause entfernt, musste ich tatsächlich dann auch dran und begann, am Straßenrand zu schrauben.
Aber, und das muss ich jetzt auch mal sagen, mit dem „normalen“ Bordwerkzeug, welches eben unter der Sitzbank dabei lag, hätte ich gar nicht anfangen brauchen.
Bordwerkzeug heute
Und wie sieht es heutzutage aus?
Beispiel: Meine BMW F800GS.
Das Bordwerkzeug hier „minimalistisch“ zu nennen ist schon fast übertrieben. Es gibt nahezu keines.
Aber fehlt deswegen etwas?
Tatsächlich ist es so, dass ich bislang noch keine „richtige“ Panne mit dem Motorrad hatte. Noch nie ist die BMW wirklich liegen geblieben, weil der Kupferwurm drin war, ein Lagerschaden oder auch nur ein Plattfuß zum Problem wurde. Lediglich ein einziges Mal ist die Maschine stehen geblieben, weil die eingebaute Benzinpumpe überhitzt war und sich dann selbst abgeschaltet hat bis zur Abkühlung.
Das bedeutet für mich ganz speziell, dass jedes Teil Bordwerkzeug bereits zu viel wäre, unnötig und unwichtig. Oder etwa nicht?
Nun, eines ist ja klar:
Der Motorradfahrer als solches hat sich im Laufe der Zeit gewandelt. Dieses Flair vom Motorradfahren, welches auch ölverschmierte Finger und überragende Kenntnisse im Bereich der Kraftfahrzeugtechnik beinhaltet, dies hat sich gewandelt. Inzwischen verlangt niemand mehr von einem Motorradfahrer, dass er in der heimischen Garage mal nebenbei den Motor zerlegen (und auch wieder zusammenbauen) kann. Das gibt es heutzutage einfach nicht mehr.
Aber das ist ja auch nicht nötig.
Wann bleibt denn ein einigermaßen modernes und leidlich gepflegtes Motorrad überhaupt noch liegen wegen eines technischen Defekts? Doch wohl mehr als selten. Klar, es kommt immer mal wieder vor. Aber ich würde wetten, wenn heutzutage ein Motorradstammtisch für eine Woche in die Alpen aufbricht, sind Erlebnisse, wo ein Motorrad unterwegs liegen bleibt, mehr als selten.
Tja, und wenn dann eine Maschine mal stehen bleibt?
Dann stellt sich immer noch die Frage, ob auch noch so tolle Bordmittel überhaupt in der Lage wären, das Problem unterwegs zu lösen. Oder zumindest zu improvisieren. Denn mal kurz den Kupferwurm zu erschlagen (beispielsweise bei Zündschwierigkeiten) bei einer modernen Maschine kann schon zu unvorhergesehenen Schwierigkeiten führen. Oder hat wer regelmäßig ein Diagnosegerät an Bord?
Tja, also ist eher wenig mit Vor-Ort-Reparaturen. Ist aber auch inzwischen nicht mehr nötig. Wenn ich inzwischen meine übliche Tourenausstattung anschaue, die wohl mehr oder weniger dem üblichen Schnitt entspricht, dann blicke ich auf ein Mobiltelefon, welches mir ermöglicht, jederzeit einen Pannendienst meiner Wahl zu verständigen. Oder ich blicke auf mein Navi, bei dem die üblichen Markenwerkstätten schon als Sonderziele eingespeichert sind. Oder, wenn gar nichts hilft, brauche ich auch nicht mehr schlecht und recht im Büchlein blättern, bis ich eine Frage zusammen stammeln kann, sondern bemühe den Google-Übersetzer, der mich die Frage nach einer Werkstatt in der Nähe einigermaßen verständlich übermitteln lässt. Geht also alles.
Also alles unnütz, oder?
Zusammenfassend würde ich inzwischen behaupten, dass es, insbesondere für Fahrer moderner Motorräder, keinen Sinn mehr macht, Bordwerkzeug mitzuschleppen. Zumindest für Motorradtouren in heimischen (ich fasse den Begriff sehr weit) Gefilden. Den Werkzeugsatz mitzunehmen ist einfach nicht mehr nötig, weil die Werkstattinfrastruktur inzwischen besser ist, die Kommunikationswege kürzer (dank Handy) und vor allem die Motorräder zuverlässiger.
Wer abseits der zivilisierten europäischen Pfade wandert, für den gelten solche Überlegungen natürlich nicht.
Und wer einen alten Göppel fährt?
Na ja, meine DR650 hat schon einige Jahre auf dem Buckel. Und über kurz oder lang wird (Murphy‘s Law) die Maschine mal während der Fahrt auseinander brechen (oder so). Tja. Den ADAC rufen? Oder selbst versuchen, zu schrauben? Vor Ort am Straßenrand? Vielleicht. Nur weil etwas nicht unbedingt nötig ist, bedeutet das ja nicht, dass ich es nicht trotzdem tue. Aber dazu sollte ich mir erst mal einen ordentlichen Satz mit Bordwerkzeugen anschaffen.
Wie siehts bei dir aus? Hast du immer Bordwerkzeug am Motorrad? Hast du das schon mal genutzt?
Bei einer modernen BMW brauchst du ein OBD Lesegerät, bei BMW-typischen Motorschäden und Elektronik-Problemen hilft Bordwerkzeug auch nicht wirklich…
Besser Yamaha oder Honda kaufen… 😉
Btw: Bei meiner letzten Tour habe ich fast 3 Stunden auf den Abschlepper gewartet. Wenn ich mit Bordwerkzeug nach dem Fehler gesucht hätte, wäre ich nach 5 min. wieder unterwegs gewesen…
Hinterher ist man immer schlauer!
Das ist aber gemein wo bei du vollkommen recht hast.
Na ja, wenn ich deinen Bericht über die 250er Oromoto-Enduro lese, musst du schon ein GANZ anderes Verhältnis zum Thema Bordwerkzeuge haben als ich. Bei dir liest sich die Mängelliste schon etwas interessanter.
Ja, ich habe an der V-Strom und an der ZZR 600 entweder eine Tooltube oder schleppe Bordwerkzeug im Bürzel mit und ja, alles schon gebraucht.
Eine Urlaubsreise hat zwischen 6.000 und 9.000 km, da ist es schon ganz gut, mal eine Schraube nachziehen oder schlimmere Pannen beheben zu können – alles vorgekommen.
Klar sind beide Maschinen nicht die neuesten – aber das mit Absicht. Die kann jeder Dorfschmied reparieren, während die neueren BMWs in meinem Bekanntenkreis immer mi dem Lumpensammlertruck wieder nach Hause gefahren sind.
Klar, bei einer Urlaubstour von schlappen 9.000 km würde ich tatsächlich auch die Sache mit dem Bordwerkzeug neu bewerten…
Aber wahrscheinlich werde ich (leider) nie in die Verlegenheit kommen, solch lange Touren auch mal unternehmen zu können. Bei mir reicht der Urlaub nie 🙁
Wobei ich dazu sagen kann:
Ja, unterwegs eine Schraube nachziehen zu können, eine wegvibrierte Verkleidung wieder fest zu frickeln, ja das hört sich schon sinnvoll an. Aber viel mehr: ist das nötig?
Ich denke, für meine alte DR650 muss ich die Sache mal überdenken. Die ist auf jeden Fall anfälliger für Unterwegs-Reparaturen.
Kommt darauf an wo man fährt und was passiert.
Bei meiner R 1150 GS wäre der Zündkerzensteckerabzieher praktisch gewesen. Original ist der mit dabei. Leider hat ihn einer der Vorbesitzer behalten oder entsorgt… Also habe ich mir den aus Metall nachgekauft.
Die übrigen Arbeiten erledige ich daheim mit »richtigem Werkzeug«. Ansonsten würde noch der ADAC übrigbleiben (brauchte ich ja schon mal wegen der geplatzten Bremsleitung – bei der half auch kein Werkzeug mehr).
Von da her: Wer primär daheim seine Kreise zieht braucht da wohl nichts. Wobei… Wie spannt man seine Kette unterwegs an der F 800 GS wenn man mal längere Touren damit macht? Reicht dafür das (nicht vorhandene) Bordwerkzeug aus? Wohl eher nicht.
Daher: Für solche Sachen eben das eigene Bordwerkzeug zusammenstellen und mitnehmen. Ist wichtiger als das Gewürzregal oder das vierte Paar Socken. 😉
Das Bordwerkzeug der F800GS ist… nicht vorhanden. Zumindest in der Serienausstattung. Das reicht nicht mal, um die wichtigsten Verkleidungsteile abzuschrauben (!).
Und eine längere Tour, bei der dann auch die Kette nachgespannt werden müsste, ja die würde ich soooo gerne mal machen, mal drei bis vier Wochen am Stück, quer durch Europa. Aber leider ist das bei mir aus zeitlichen Gründen bis zur Rente wohl nicht möglich.
Nebenbei: Ein Gewürzregal hat halt auch was…
Voríge Woche habe ich bei meiner KTM Duke den Schalhebel verloren, d. h. er hing noch am Gestänge. Aber da ich die Befestigungsschraube nicht mehr gefunden habe, hätte mir das Werkzeug auch nichts genutzt. Also habe ich von Hand den dritten eingelegt und bin zur nächsten Werkstatt gefahren. Zum Glück gibt es hier in Deutschland genug davon. Die Schraube war eine torx, im Werkzeug liegt allerdings ein Kreuzschlitzschraubenzieher. Das ganze ist also nicht sehr sinnvoll. An Stelle des Werkzeuges überlege ich ob ich ein kleines Verbandpäckchen einpacke.
So richtig klar wird der Post nicht.
Die Schraube verloren, aber das war eine Torx.
Ja und, da schaut man wo eine Schraube mehr als unbedingt nötig am Rad ist und die wird an der wichtigeren Position verlegt.
Ohne Victorinox Multitool gehe ich gar nicht erst aus dem Haus. 😉
Und das habe ich auch schon oft benutzt um lose Schrauben nachzuziehen, Zündkabel abzuisolieren, eine PET-Flasche in einen Öltrichter zu verwandeln, u.s.w. Auch beim zerlegen einer 690er Supermoto war es sehr hilfreich um die Benzinpumpe ausbauen und wieder zum laufen zu bringen.
Bei einer Dolomiten-Wochenendtour ist ein Mitfahrer (Duc Monster, kein Bordwerkzeug) liegen geblieben weil die Kette so lose war dass sie übergesprungen ist. Nach langwieriger Werkstattsuche ist er dann über die Brennerautobahn nach Hause geschlichen. An Passfahrten war nicht mehr zu denken.
Ein positives Beispiel für gutes Bordwerkzeug ist die Husqvarna 701 Enduro. Klein, hochwertig und ausreichend um alle Verkleidungsteile abzubauen, die Räder auszubauen und die Kettenspannung einzustellen.
Bei längeren Touren muß dann noch eine kleine Rolle Gewebeklebeband, ein paar Kabelbinder und ein Röhrchen Kaltmetall mit. Keine 200 Gramm, winziges Packmas und hat uns schon im Kroatienurlaub gerettet als die CCM/Suzuki 400er umgekippt ist und ein Loch in den Motordeckel geschlagen hat. Mit Kaltmetall und Bremsenreiniger von der Tankstelle waren wir nach ca. 1h wieder on-the-road, ohne wäre es stundenlanges Warten und die Heimfahrt mit ADAC Abschlepper und Mietwagen geworden.
Na klar benutze ich mein Bordwerkzeug. Habe mir einen Windschild gekauft. Angeschraubt mit Bordwerkzeug. Frontfender Reling mit Bordwerkzeug angeschraubt. Batterie ausbauen zum laden. Mit meinem Bordwerkzeug. Werkzeuge die ich in der Wohnung habe zum renovieren taugen nicht fürs Motorrad. Und anderes Werkzeug für mein Motorrad habe ich nicht. Weil ich Schutzbrief habe. Also ich brauche sehrwohl mein Bordwerkzeug.