War früher wirklich alles besser?

Ich drücke mich auch gerne auf anderen Blogs herum. Immer wieder die neuesten Informationen zu erhalten und vielleicht auch ein paar abweichende Meinungen zu hören (lesen), gefällt mir. Und so habe ich in der Blog-Nachbarschaft beim Griesgram einen schönen Artikel gefunden. Er stellt hier fest, dass bei Motorrädern immer mehr an Elektronik verbaut wird. Und dass dies zu Problemen führen kann, wenn die Funktionsfähigkeit des Motorrads bei einem „Kupferwurm“ auf der Strecke bleibt. So weit so gut.

In den Kommentaren zu dem Artikel musste ich jedoch lesen, dass eigentlich die meisten von der immer weiter verbreiteten Fahrzeugelektronik nur mäßig begeistert sind, da somit Fahrzeugdefekte nicht mehr kurz mal in der heimischen Garage oder am Straßenrand behoben werden können.

Und irgendwie habe ich mich mit meiner Freude über das „Mehr“ an Elektronik ziemlich alleine gefühlt. Fast alle anderen waren begeistert von ihrer etwas älteren Technik, die es möglich macht, noch selbst an bestimmte Probleme Hand anzulegen.

Wie war es denn früher?

Und das hat mich auf die Frage gebracht, wie das denn früher war. Bist du auch in dem Modus der Geschichtsverklärung? Bist du auch jetzt noch voll dabei in der Motorradtechnik?

Welches „Früher“ meine ich denn? Es ist doch so, dass die meisten von uns Motorradfahrern in ihrer Vergangenheit technische Arbeiten selbst durchgeführt haben. Zumindest bis zu einem bestimmten Punkt.

Ich kann mich noch an meine Moped-Zeiten erinnern, als ich zunächst im Hof, später vor der Garage, auf dem Boden saß, die letzten Schrauben am Motor festzog und alle Arbeiten beendet waren. Und da habe ich mich dann gefragt, wo denn die übrigen Schrauben hingehören, die noch herumlagen…

Wen von den älteren Motorradfahrern du fragst, alle sind der Meinung, dass bei älteren Maschinen der Vorteil besteht, dass „man noch alles selber machen kann“. Na ja. Wahnsinniger Vorteil. War es denn nicht eher so, dass du regelmäßig Reparaturen und Wartungsarbeiten vornehmen musstest?

Das geht doch schon los bei den regelmäßigen Inspektionen. Kennst du noch die alten Harleys? Inspektionsintervalle von 4000 km waren da noch drin. Das bedeutet, du hast kurz vor und dann einige Wochen nach deinem Urlaub an der Maschine gesessen und dran rum geschraubt, nur für die Inspektionen. Und bei den Italienern war das auch nicht besser. Da konntest du auch eigentlich ständig dran herumschrauben, nur um deine Inspektionsintervalle einzuhalten. Und heutzutage? Je nach Modell fährst du eine Ducati und musst nur alles 12.000 km in die Werkstatt (oder eben selbst machen). Auch bei meiner BMW habe ich 10.000er Intervalle. Da ist schon einiges gegangen. Wer also meint, heutzutage „kann man ja gar nichts mehr selbst machen“ an einer Maschine, der vergisst, dass alleine schon durch die längeren Inspektionsintervalle viel weniger zu warten ist.

Oder kennst du noch die Probleme beim Sommer- und Winteröl? Ja natürlich, heutzutage musst du nach vielen Arbeiten den „Service“ Intervall bei der Fahrzeugsoftware nullen. Auch beim Ölwechsel. Aber zumindest brauche ich heutzutage nicht immer im Oktober auf Winteröl umstellen, wenn ich vorhabe auch im Herbst und Winter ein wenig zu fahren. Ist es also so schlimm, dass so viel Fahrzeugelektronik verbaut ist?

Da beschweren sich viele, dass ab nächstes Jahr flächendeckend ABS verbaut werden muss. Anstatt mich darüber aufzuregen, dass uns Motorradfahrern mehr Regeln aufgedrückt werden, sollte jeder mal in sich gehen und sich fragen, ob es nicht sicherer ist, wenn flächendeckend an allen Maschinen ABS vorgeschrieben ist. Natürlich gibt es die theoretische Möglichkeit, dass jemand besser bremst als die Technik. Und wenn ich herumfrage betont auch jeder, dass es für die Allgemeinheit gut wäre, er selbst aber besser ohne ABS bremsen könne. Klar, nur für die anderen.

Oder die Euro-4-Norm. Alle sind sich einig, dass mehr für die Umwelt getan werden muss. Und dazu gehört auch die Abgasreinigung am Motorrad. Aber gleichzeitig regen sich alle auch darüber auf, dass zu einer Euro-4 Abgasreinigung eben auch eine ausgeklügelte Motorsteuerung gehört, mit der entsprechenden Elektronik. Das ist halt einfach so.

Du kannst es drehen und wenden, wie du willst. Natürlich konnte man „früher“ viel mehr machen in Sachen Motorradwartung. Nur musste man auch mehr machen.

Und Reparaturen nach Pannen? Sind wir doch mal ehrlich. Die meisten alten Motorräder wurden nur deshalb am Straßenrand geflickt, weil sie eben nicht besonders zuverlässig und standfest waren. Oder will mir irgendwer erzählen, dass es Spaß gemacht hat, mit ölverschmierten Fingern am Straßenrand zu sitzen, anstatt einfach eine schöne Motorradtour zu genießen. Ist doch so. Die Motorräder waren fehleranfälliger, da gibt’s nichts zu rütteln. Und heutzutage? Da kannst du, wenn der Kupferwurm zuschlägt, kaum noch was selbst machen. Andererseits ist das eben nicht mehr notwendig. Immerhin sind Motorräder auch wesentlich standfester. Und wenn doch mal was passiert, sind wir eben nicht mehr darauf angewiesen, dass jemand mit Grundkenntnissen in Fahrzeugtechnik ein wenig mithilft, die Karre wieder flott zu machen. Heute nimmt man sein Handy aus der Tasche (wer hat denn keines dabei) und wählt den ADAC, einen anderen Automobilclub oder auch den Notdienst des Herstellers an und es wird geholfen. Europaweit sogar.

Also würde ich jetzt einfach mal ganz frech behaupten, dass es für uns Motorradfahrer eben nicht besser war, als man noch alles selbst machen konnte und musste. Die Technologie macht vor keinem von uns halt. Ob es jedem gefällt oder nicht. Die Motorräder werden besser, vernetzter, mehr mit Elektronik vollgepackt. Und sie werden gleichzeitig zuverlässiger, langlebiger und ganz allgemein besser.

Fazit:

Deshalb sage ich, nehmt die zunehmende „Elektronisierung“ in der Fahrzeugtechnik an und gebt zu, dass eben früher auch nicht alles besser war.