Neumotorräder haben ABS
Und das ist auch gut so.
Der Winter ist bald um, die saure-Gurken-Zeit damit hoffentlich auch bald. Bis dahin vertreibe ich mir noch ein wenig die Zeit damit, in einschlägigen Motorrad-Foren herumzustöbern. Und hier bin ich auf einen Beitrag gestoßen, der mich ein wenig ärgert.
Seit Anfang 2016 müssen ja Neumotorräder (bis auf einige Ausnahmen) mit ABS ausgestattet sein. Dies deshalb, um die Unfallzahlen zu senken. Und nun muss ich von einigen Leuten lesen, dass das Mist sei. Ich lese davon, dass es jedem selbst überlassen sein sollte, ob die eigene Maschine mit ABS ausgestattet sein muss (man rennst sich ja nur das eigene Hirn ein), dass ja ein geübter Fahrer wesentlich besser bremsen könne als eine ABS-gesteuerte Bremse und sowieso sei das alles ja empfindliche Technik, die sowieso nie funktioniere.
So etwas ärgert mich. Nicht nur, weil ich anderer Meinung bin, sondern vor allem deshalb, weil es sich bei diesen Aussagen schlichtweg um Quatsch handelt.
Die Mär vom „ich bin selbst alt genug“
Die meisten sagen, die persönliche Sicherheit beim Motorrad wäre ihr eigenes Problem. Auf gut Deutsch geht es keinen was an, wenn ich mich bei einem Unfall selbst verletze.
Das ist so schlichtweg nicht richtig. Natürlich bist du es erst einmal selbst, der sich bei einem Unfall verletzt. Gerade bei den typischen Unfällen, die mit einem Antiblockiersystem verhindert werden, nämlich eine starke Bremsung, bei der dir das Vorderrad wegschmiert, ist es ja tatsächlich so, dass du oft genug alleine hinfällst. Das ist so schon mal richtig. Keiner außer dir selbst hat den Schaden, wenn du mit deiner Maschine über den Asphalt schrammelst.
Aber doch sind alle anderen Motorradfahrer in vielfältiger Weise mit im Boot. Du bist also verletzt. Das bedeutet schon mal eine Belastung der gesamten Gesellschaft. Immerhin muss ja deine Krankenversicherung für deine Behandlungskosten aufkommen. Nicht du ganz alleine und persönlich. Also trage ich auch meinen Teil dazu bei.
Und dann hast du mal wieder einen Strich in der Unfallstatistik verursacht. Wenn genügend solcher Striche zusammenkommen für Unfälle mit verletzten Motorradfahrern, wird ganz schnell mal eine beliebte Motorradstrecke begrenzt in der Geschwindigkeit (siehe beispielsweise Kesselbergstrecke) oder auch mal ganz gesperrt (Schauinsland). Du siehst also, alle müssen dann irgendwie leiden.
Und auch die Kraftfahrzeugversicherungen werten solche Unfallstatistiken aus. Auf einmal ist ein ganz spezielles Fahrzeug halt häufiger in teure Unfälle verwickelt und kostet dann mehr Versicherungsprämien. Auch nicht schön.
Du siehst also, mit dem Argument, du gefährdest vor allem dich selbst, wenn du ein Motorrad ohne ABS fahren willst, liegst du nicht unbedingt richtig.
Das Märchen von der empfindlichen Technik
Ja, ein ABS besteht aus empfindlichen elektronischen Bauteilen. Oder?
Na ja, kann man sich drüber streiten. Ein Zahnkranz am Rad, ein Sensor pro Rad sowie eine Steuereinheit. Alles über Kabel verbunden. Und auch, wenn es sein kann, dass in den 90er-Jahren noch hin und wieder Probleme auftraten, würde ich das so heutzutage einfach nicht mehr unterschreiben. Die Technik ist schlichtweg besser geworden.
Natürlich steigt die Gefahr, wenn immer mehr Bauteile kritisch in das Motorrad eingreifen. Andererseits sinkt auch wieder die Gefahr, wenn sich diese Bauteile als robust, bewährt und dauerhaft erwiesen haben. Die komplette ABS-Technik ist definitiv schweineteuer, wenn mal was anderes als die Sensoren kaputt gehen. Da stimme ich sofort zu. Aber die Teile gehen halt einfach nicht kaputt.
Natürlich kommt jetzt immer wieder wer um die Ecke, der einmal mitbekommen hat, wie ein Antiblockiersystem am Motorrad den Geist aufgegeben hat. Ich selbst bin ja auch nicht davon verschont geblieben. Mir wurde mal für einige Wochen eine R1150RT zur Verfügung gestellt. In der Zeit war ich zwei mal in der Werkstatt, weil dauernd die ABS-Lampe brannte. Blöd. Aber eben nicht die Regel. Inzwischen habe ich einige Kilometer mit elektronisch unterstützter Bremse zurückgelegt, bisher ohne jeden Tadel.
Daher: Du siehst, dass heutzutage die Technik ausgereift genug ist. Zu behaupten, das ABS am Motorrad sei empfindlich, ist falsch.
Und die Geschichte mit dem „guten Fahrer“
Ja. Das ist mein Liebling. Ich lese dann immer wieder, dass ein geübter Fahrer viel besser ist, als das verbaute ABS. Und als Beweis wird immer der Rennsport aufgeführt. Die haben ja auch kein ABS an ihren Maschinen.
Das ist so richtig. Scheinbar. Aber halt auch Mist.
Aber ich lese doch in einschlägigen Kommentaren immer wieder die gleiche Aussage wie „ja, aber ich bin ein guter Fahrer, ich bremse besser als die Technik“. Wenn ich so was schon lese. Also eigentlich besteht gar kein Bedarf für so eine Technik, oder? Alle sind ja tolle Fahrer und bremsen besser. Das kann jetzt natürlich jeder halten wie er will. Aber ich für meinen Teil halte mich eben nicht für einen so tollen Fahrer, dass ich nur aus Pech nicht im Profi-Rennsport mein Geld verdiene.
Aber die Aussage als solche, das ABS sei schlechter, als eine Bremsung durch einen geübten Menschen, ist für mich auch nicht ohne Kommentar hinzunehmen.
Heutzutage sind diese Unterschiede beim Bremsweg nur noch marginal. Der Mensch schlägt die Technik unter Idealbedingungen nur noch schwer und nur noch um wenige Meter. Aber eben unter Idealbedingungen.
Nur wo passieren denn Unfälle? Eben nicht bei Idealbedingungen. Sondern eben auf irgendeiner schönen aber schwierigen Motorradstrecke, bei wechselndem Belag, Ölflecken und Straßenschäden. Und nicht, wenn du gerade auf einen vorherbestimmten Bremspunkt zufährst, sondern dann, wenn gerade ein Traktor vor dir auf die Straße einbiegt. Und da ist der Mensch eben nicht besser als die Technik. Punkt. Da braucht jetzt keiner mit erhobenem Zeigefinger mahnen und behaupten er könne das besser. Ich glaube es einfach nicht.
Deshalb: Mag sein, dass irgendwie ein menschlich gesteuertes Bremsen besser ist als ein ABS-gesteuertes, aber nur unter vorbestimmten, laborartigen Bedingungen. Im wahren Leben geht das halt nicht.
Fazit
Ich gebe zu, ich bin ein Fan vom ABS. Ich habe schon Unfälle verursacht, indem ich mich „verbremst“ habe, ich hatte es auch schon, dass der Blockierverhinderer angesprungen ist. Von daher bin ich restlos überzeugt von der Technik. Und ich bin damit dann auch überzeugt davon, dass es ein richtiger Schritt war, die ABS-Pflicht einzuführen.
Immer wieder jedoch lese ich Kommentare, die auf diesem praktischen, deine Gesundheit rettenden System herumhacken und es geradezu zum Teufel wünschen. Ich habe dafür kein Verständnis.
Moin,
volle Zustimmung. Moderne ABS Systeme schalten schneller als man denken kann. Wenn man es dann noch bei der ReiseEnduro temporär abschalten kann (zumindest hinten) ist es ein Sicherheitgewinn
Wird auch Zeit, dass sich in anderen Segmenten (vielleicht sogar irgendwann im Sportbereich?) mal diese Erkenntnis durchsetzt.
Da bin ich uneingeschränkt dafür – beim Volleyball wäre ABS ein unschätzbarer Vorteil; auch für andere Sportsegmente wie zB den Deppensport #1, der vorzugsweise mit dem Fuß gespielt werden sollte könnte ich mir vorstellen, daß es hilfreich wäre !
Also bei mir schaltet das Getriebe die Gänge, nicht die Bremse – und wieso wäre es ein Sicherheitsgewinn, wenn man bei einem Moppet, das sich am wohlsten auf der Autobahn fühlt, das elektronische Helferlein hinten abschalten kann ? Wieso gerade hinten und nicht vorne ? DAS mußt du mir erklären … 😉
„Du siehst also, mit dem Argument, du gefährdest vor allem dich selbst, wenn du ein Motorrad ohne ABS fahren willst, liegst du nicht unbedingt richtig.“
Das ist Humbug – denn du gehst durch diese Darstellung davon aus daß jeder, der kein ABS an seinem schweren Krapfen ‚rumbremsen läßt, zwingend einen Unfall bauen muß – dem ist zum Glück ja nicht so … 😉
Grundsätzlich baut NICHT jeder, der kein ABS hat, einen Unfall. Das habe ich auch nie behauptet. Aber ich kann durchaus nachvollziehbar behaupten, dass diese klassischen Unfälle durch das „Überbremsen“ des Vorderrads häufig vorkommen. Und eben diese Unfälle sind nunmal durch den Einsatz eines modernen ABS großteils auszuschließen.
Hast du dich denn noch nie „verbremst“?
Natürlich hast du genau DAS behauptest, mindestens impliziert – lies‘ nochmals nach 😉 …
‚Verbremst‘ habe ich mich schon öfters und werde es sicher auch in Zukunft hin und wieder tun: manchmal bremse ich zu früh, dann wieder zu spät – ein ABS hilft dagegen leider nicht, bis zum Scheitel bremsen und stärker umlegen meist schon … 😉
Wogegen ich mich verwehre und aus Erfahrung geht es in einer möglichen Diskussion immer darum: daß Menschen welche aus irgendeinem Grund kein ABS an ihren Lieblingen möchten, als Menschen 2. Klasse (der dümmeren) eingestuft werden… vor allem von solchen, die den Unterschied nicht kennen. Letzten Endes geht die Sache so aus, daß man -aufgrund theoretischer Sicherheitsargumentationen- Kräder ohne ABS im Bereich der StVO nicht mehr benutzen darf; und das möchte ich nicht.
Die Zeiten, wo gleich die komplette Bremsanlage versagte wenn das ABS ausfiel, sind meines Wissens vorbei und der Fehler ist bloß bei BMW aufgetreten – so etwas ist natürlich unverzeihlich, da haben die Konstrukteure gemurkst anstelle von mitgedacht…
Ich denke schon, daß ABS einiges an Sicherheit bringt – vor allem für Rookies. Nur lernen die dann nicht mehr ohne das Helferlein auszukommen – und sollte es trotz sicher gewordener Technik doch einmal passieren, regnet es hoffentlich nicht gerade dann…
Ich möchte keine Duppelduplex mit Seilzug als ‚Reserve‘ an meinem Moppet – nur könnte ich damit trotzdem umgehen glaube ich, falls die Hydraulik der Scheibenbremse ausfiele – das ist der springende Punkt – und für mich gleichzeitig der Schwachpunkt in der Diskussion um ABS: wenn schon, dann ein kurvenfähiges – die häufigen Rutscher in Kurvenlage kommen meist von Schreckbremsungen, wenn der Platz ausgeht, behaupte ich. Wenn schon ABS, dann ein praxisgerechtes – und das braucht noch ein wenig Feinjustierung, bis es friktionsfrei funktioniert…
Gut argumentiert. Stimme ich zu. Und da ich auch damit leben kann, dass jemand mal nicht meiner Meinung ist, wie wäre es, wenn du für diese „Menschen zweiter Klasse“ noch ein wenig mehr in die Bresche springst? Schreib eine kleine Gegendarstellung, schick sie mir und es wäre mir eine Freude, die hier zu veröffentlichen.
Was genau könnte ich denn ‚gegendarstellen‘ … ;-?
Das mit der Belastung für die ganze Gesellschaft ist Unfug. Du kündigst damit die Solidargemeinschaft auf. Wenn du das weiter denkst, müssten Menschen mit irgendwelchen höheren Risiken bei was auch immer, mehr in die gemeinsamen Töpfe einzahlen oder ihr tun verboten bekommen. Dass die gewinnorientieren Versicherungen sich Risken unterschiedlich bezahlen lassen, ist schon schlimm genug und antisozial.
Jemand der bewusst sagt, auch ohne ABS auszukommen, wird schon wissen, was er sagt: Ich glaube auch nicht, dass man manuell besser als mit ABS bremsen kann. Nur habe ich in den Jahren mit meinen (alten) Moppeds gelernt, mit guten Reifen, Vorrausschauen, Blickführung, Lösen und Ausweichen mit selten rutschenden Reifen umzugehen und habe noch nie ein ABS vermisst.
Auch hier kann ich mich ohne wenn und aber anschließen. Ich habe schon lange gesagt, dass ABS eine sinnvolle Sache ist, gerade auch für Moppeds. WIE groß der Unterschied ist, habe ich aber erst im vergangenen Jahr gesehen. Beim Perfektionstraining des ADAC bekommt man einen Bremsschreiber auf die Kiste. Meine ZZR war die einzige Maschine ohne ABS. Mein Bremsweg aus 80 Km/h auf Null war 15 Meter oder 40 Prozent länger als der von ABS-Maschinen. Konsequenz: Ab diesem Jahr neues Motorrad, diesmal mit ABS.