jethelm

Wnn ich mal eine Mail bekomme

Der Blog wird größer. Definitiv. Und mit steigenden Besucherzahlen bekomme ich auch immer mehr Rückmeldung. Manche mit Lob, andere mit Kritik, wieder andere mit einer anderen als meiner Meinung. Und manchmal sind auch richtige Beiträge dabei.

So hat mich vor einiger Zeit eine Mail aus Österreich (ja, auch dort gibt es Motorradfahrer!) erreicht:

Ich bin heute eher durch Zufall auf Deinen Beitrag zu Jethelmen aus dem Jahr 2016  gestoßen und dachte mir, ich schreibe Dir dazu ein paar Zeilen.

Grundsätzlich gestehe ich jedem seine Meinung zu, doch die Verallgemeinerungen in Deinem Text („Jethelme sind für Motorradfahrer nicht sicher genug.“) stoßen mir wirklich sauer auf. Denn sie sind meines Erachtens schlichtweg nicht zulässig. Jeder Biker muss für sich selbst entscheiden, was für ihn sicher genug ist. Denn wenn man Deine Argumentation auf die Spitze treibt, könnte man auch sagen: „Motorradfahren ist für Menschen nicht sicher genug“.

Wir alle kennen das Risiko, das in erster Linie von anderen Verkehrsteilnehmer (Bürgerkäfig-Fahrern) ausgeht, insbesondere im Stadtverkehr. Dessen ist man sich bewusst, wenn man aufs Bike steigt.

Ich bin in etwa so alt wie Du (1979-Baujahr) und wurde motorradtechnisch von meinem Vater mit dem Virus infiziert und sozialisiert. Als Kind bin ich auf seinem Chopper mitgefahren, wir beide in kurzen Hosen, mit Jethelm und Brille um die Augen zu schützen. Ich empfinde den Wind im Gesicht (auch den kühleren) nicht als störend, sondern, im Gegenteil, er ist ein Gefühl von Freiheit. Auch ich bin Ganzjahresfahrer und fahre auch im Winter mit Jethelm (ohne Visier!), dann aber mit Neopren-Sturmhaube – und das hat, so paradox das klingen mag, sicherheitstechnische Gründe. Kein Vollvisier- oder Klapphelm, ja noch nicht einmal die Jethelme mit großem Visier (das im Winter ohnedies immer beschlägt) bietet ein so großes Gesichtsfeld wie ein offener Jethelm. Außerdem höre ich andere Fahrzeuge links und rechts sowie hinter mir schon und kann sie aktiver wahrnehmen als mit einem geschlossenen Helm (alles ausprobiert). Insofern möchte ich sagen: Der Vollvisier/Klapphelm schützt mich bei einem möglichen Unfall VIELLEICHT besser als ein Jethelm. Doch mit dem Jethelm hätte ich eben diesen Unfall womöglich gar nicht erst gehabt, weil ich den Büchsen-Lenker rechtzeitig bemerkt hätte. Ich lege pro Jahr rund 12.000 bis 15.000 Kilometer bei jedem Wetter auf meinem Bike zurück, 95 Prozent davon in der Stadt, habe also wie Du Dir denken kannst, schon einige brenzlige Situationen erlebt. Und als Rettungssanitäter weiß ich auch, wie schnell man trotz bester Schutzausrüstung schwer verletzt oder gar tot sein kann (innere Verletzungen, stumpfes Bauch- oder Thoraxtrauma) – die Überbetonung der Wichtigkeit des Helms führt meiner Meinung nach sogar dazu, dass sich viele Biker in falscher Sicherheit wiegen.

Persönlich trage ich ganz normale Kleidung, offenen Jethelm und bei kälteren Temperaturen – wie im Moment – Lederhandschuhe. That’s it. Und fahre dabei aber immer so als hätte ich nicht mal den Helm auf und als wären alle anderen auf der Straße Idioten. Diese defensive Fahrweise minimiert das Restrisiko.

Zudem denke ich auch, dass es eine typisch deutsche Einstellung ist, dass nichts von dem was man tut ein Restrisiko beinhalten darf oder dass man dieses Restrisiko noch so minimieren muss. Dabei fürchten wir uns zu Tode und schränken uns selbst in der Lebensqualität ein, mitunter ohne das so wahrzunehmen. Dazu ein Beispiel: Ich bin oft in Griechenland habe Freunde unten. Dort fahren 2 bis 3 Leute auf einem Roller oder Motorrad, selbst Mütter bringen ihre Kinder ganz selbstverständlich damit in die Schule – in Schlappen und ohne Helm … trotzdem sind (um es überspitzt zu formulieren) die Griechen nicht ausgestorben und sogar jede Menge Rentner von 60 aufwärts bis gut 80 fahren so, und das ihr ganzes Leben lang.

Bei meinen eigenen zwei Stürzen die ich bisher in meinem Bikerleben hatte, hätte ich überhaupt keinen Helm gebraucht, da der Kopf nicht mal Bodenberührung hatte. Natürlich hatte ich dabei einen auf, aber ein Vollvisierhelm hätte um nichts mehr gebracht als ein Jethelm. Mein Vater, der seit gut 30 Jahren fährt hatte zum Glück (und möge das auch so bleiben) überhaupt keinen Sturz (ebenfalls ein sehr defensiver gemütlicher Fahrer genau wie ich).

Fazit: Keine Verallgemeinerungen, niemandem vorschreiben wollen, wie er sich zu schützen hat, sondern auch akzeptieren und respektieren, wenn jemand sagt: Für mich gehört Fahren mit Jethelm (oder ohne Helm zb beim Urlaub in Thailand oder Griechenland) dazu, weil es mir ein Gefühl von Freiheit gibt. Und nein, das oft gehörte Argument: „Ich muss den im Fall einer Verletzung , die mit Integralhelm vermeidbar gewesen wäre, dann aber mit meinen Sozialversicherungsbeiträgen durchfüttern“ greift nicht. Denn wenn wir so „argumentieren“ sind wir nicht weit vom totalen Überwachungsstaat entfernt. Was kommt als nächstes? Verbieten wir Fast Food? Denn immerhin entsehen dadurch auch Krankheiten, die von den Ärzten auf Kosten der Allgemeinheit behandelt werden müssen. Das gleiche gilt für das Rauchen, etc …

(…)

Worum es mir geht, ist dass jedem Biker die Entscheidungsfreiheit überlassen wird. Und wenn ich dann (nicht von Dir sondern von Lesern) Kommentare lese wie „Unglaublich, dass die Dinger überhaupt nocht verkauft werden dürfen …“ dann greife ich mir an den Kopf, das sind dann wahrscheinlich die Leute, die sich vom Staat sogar die Klopapiersorte vorschreiben lassen, um es bewusst überspitzt zu formulieren.

Ich bin wie ich schon geschrieben habe ein großer Griechenlandfan, häufig unten, wohne auch privat und fahre dort natürlich selbst auch viel – wie die Einheimischen, komplett ohne Helm. Ist es gefährlich? Ja, natürlich, aber ich verhalte mich defensiv und nehme im Rahmen meiner EIGENVERANTWORTUNG dieses erhöhte Risiko für das Freiheitsgefühl in Kauf, denn es ist einfach irre, gemütlich zu cruisen den Fahrtwind im Gesicht und in den Haaren (ok, in meinem Fall am Kopf, bin Bequemlichkeits-Glatzenträger) zu spüren, links neben Dir die imposanten Berge, zu Deiner rechten das blaue Meer, der salzige Geruch … zu meinen griechischen Freunden zählt unter anderem ein 75-Jähriger, (bei dem wohne ich privat mit Frau und Kindern), der seit er 14 ist mit diversen Rollern und Motorrädern unterwegs ist – immer ohne Helm. Ist er gestürzt? Ja, mehrfach und er fährt noch immer … ein anderer Kumpel ist um die 50, fährt auch seit er 15 ist, nie mit Helm. Ist er gestürzt? Noch nie (so wie mein Vater, der seit über 20 Jahren fährt). Diese von Industrie und Staat geförderte Sicherheitshysterie (in Belgien muss man glaube ich als Biker schon verpflichtend Handschuhe und knöchelhohe Schuhe tragen, sonst setzt es Strafe) und Bevormundung der Bürger ist es, die mir so sauer aufstöß. Wenn sich jemand wohl fühlt mit Lederkombi, Handschuhen und Integralhelm, dann soll er so fahren, ich verurteile ihn dafür nicht oder käme nie auf die Idee ihn zu bevormunden, oder „Angsthase“ zu schimpfen. Es ist sein Stil, sein Ding, ok.

Wenn jemand aber lieber mit Schlappen und Braincap (anderes Extrembeispiel) fahren möchte soll er das auch tun – aber nachher darf er nicht jammern, wenn er schwer verletzt ist, dessen muss man sich bewusst sein, das ist EIGENVERANTWORTUNG. Nicht jeder Biker stürzt. Und nicht jeder Biker der stürzt stürzt auf seinen Kopf. Und nicht jeder Biker, der auf seinen Kopf stürzt, fällt auf die Gesichtspartie … Motorradfahren ist in seiner Gesamtheit nun einmal viel gefährlicher als Autofahren, dessen müssen wir uns bewusst sein. Man kann immer etwas finden, nach dem Moto. Integralhelm ist sicherer als Jethelm. ABer: Auto ist sicherer als Motorrad. Und: Daheim sitzen ist sicherer als Autofahren … Das Lebe ist lebensgefährlich und alles, was wir tun ist mit einem gewissen Risiko behaftet.

Aus meiner aktiven Zeit als Rettungssanitäter kann ich jedenfalls sagen, dass die schwersten Motorradunfälle die waren, bei denen die Biker mit schweren (Renn-) Maschinen und voller Schutzausrüstung unterwegs waren. Die (im Sommer mitunter auch leicht bekleideten) Moped- und Rollerunfälle gingen dagegen eher glimpflich aus, Hautabschürfungen, vielleicht mal ein gebrochener Fuß oder ein gebrochener Arm. Meine persönliche Erfahrung als Sanitäter und auch als Straßenverkehrsteilnehmer ist, dass die Risikobereitschaft vieler (nicht aller!) Biker mit dem Grad der Schutzausrüstung steigt, weil sie sich (zu) sicher fühlen. Wenn ich im Sommer mit Jeans, Segeltuchschuhen, T-Shirt, Lederhandschuhen und Jethelm auf meine Maschine steige (zur Auswahl stehen ein 500er Chopper von Kawasaki den ich mir mit meinem Vater teile oder mein eigener 135er Exot von Yamaha) bin ich mir des erhöhten Risikos völlig bewusst, cruise aufmerksam, defensiv und gemütlich dahin und genieße den Fahrtwind im Gesicht, auch bei kälterem Wetter oder Regen. Wie wir Wiener sagen: „Des g’hert dazua“ (das gehört dazu). Als Brillenträger sind meine Augen ohnedies geschützt, für den Sommer habe ich zusätzlich eine optische Sonnenbrille in meiner Stärke. Gegen Insekteneinschläge wird der Hals mit einem Tuch geschützt. Very old school …

Einschränkend muss ich allerdings sagen, dass ich nicht auf Autobahnen unterwegs bin. Die meide ich aus Prinzip, weil sie mir keinen Spaß machen.Aber dort würde ich vermutlich aus purer Bequemlichkeit dann allerdings auch einen Integralhelm oder Klapphelm tragen.

LG aus Wien

Anmerkung:

Ich bin in vielen, nicht allen Punkten durchaus mit dem Statement einverstanden. Insbesondere stimmt auch dies mit der Gefahr, die durch eine immer größere Regelungswut besteht. Immer mehr wird eingeschränkt, verboten, auf einmal wird (vielleicht in ferner Zukunft) das Motorradfahren als solches als zu gefährlich eingestuft. Kann sein.

Andererseits ist es ja so, dass sich die meisten von uns mit solchen Regelungen in anderen Bereichen bereits abgefunden haben. Dass im Pkw der Gurt zu tragen ist, auf dem Bau Sicherheitsschuhe und bei Arbeiten im Wald eine Schnittschutzhose wird doch für die meisten von uns als normal und nachvollziehbar angenommen, oder?

Und bei den Jethelmen? Ein Jethelm per se ist wohl sicherheitsmäßig nicht das Problem. Keinen Helm zu tragen (dein Kumpel in Griechenland, wo dies auch nicht erlaubt ist) der spielt definitiv unnötig mit seiner Gesundheit, oder?

Ich würde einfach mal behaupten, es geht um ein „normales“ Mittelmaß zwischen Sicherheit und der eigenen Entscheidungsfreiheit.