Standpunkt zum Mordprozess:

Diese Tage war ich ein wenig verblüfft. In meiner Zeitung musste ich lesen, dass in Bremen ein Motorradfahrer vor Gericht steht. Anklage: Mord.

Was war passiert?

Der Angeklagte betreibt einen YouTube-Kanal unter dem Namen Alpi. Dort stellt er regelmäßig seine Motorradvideos vor. Diese, mittels Helmkamera gefertigten Videos haben es in sich. Zumindest meiner Meinung nach. Hier werden seine „Abenteuer“ auf dem Motorrad vorgestellt. Mal ein kleiner Beschleunigungswettkampf mit einem Pkw-Führer, mal seine „Fahrkünste“ im innerstädtischen Verkehr. Alle Videos haben gemeinsam, dass „Alpi“ regelmäßig unter Missachtung eigentlich aller Verkehrsregeln durch die Landschaft braust.

Nur diesmal hat er es wohl übertrieben. Im März hat er während einer solchen Fahrt erst einen Pkw-Führer gestreift und danach einen Fußgänger erfasst. Beide Male mit weit überhöhter Geschwindigkeit. Der Rentner, mit dem er kollidierte, verstarb an der Unfallstelle. Und nun steht er vor Gericht; wegen Mord.

Wieso Mord?

Nun, wer sich ein wenig einliest, wird feststellen, dass nicht jeder, der einen anderen tötet, ein Mörder ist. Mörder ist nur jemand, der einen anderen aus niedrigen Beweggründen oder zur Verdeckung anderer Taten umbringt (oder Habgier u.ä.).

Im vorliegenden Fall erklärt der zuständige Staatsanwalt, „Alpi“ habe vor allem aus Geltungssucht gehandelt (die YouTube-Videos) dienen hier als deutlicher Hinweis. Ist auch nicht ganz weit hergeholt, wer sich mal aufmerksam die Tonspur seiner Videos anhört, kann schon ein gewisses Maß an Geltungssucht heraushören. Weiterhin habe er eine Unfallflucht an einem Pkw begangen und den tödlichen Unfall quasi „auf der Flucht“ verursacht, als er sich einer Strafverfolgung entziehen wollt. Auch dieser Argumentation kann ich (irgendwie) gerade noch folgen.

Also ist „Alpi“ ein Mörder?

Nun, laut Staatsanwaltschaft Bremen definitiv. Ich sehe das ein wenig anders.

Ich denke, niemand kann mir eine zu „weiche“ Grundeinstellung vorwerfen. Eher im Gegenteil. Ich würde mich eher als einen Vertreter der Law-and-Order-Fraktion bezeichnen. Und jetzt steht ein Motorradfahrer vor Gericht wegen Mordes nach einem tödlichen Verkehrsunfall. Und ich erhebe (zumindest moralisch) Einspruch.

Und warum? Na ja, auch wenn die Staatsanwaltschaft es ein wenig anders sieht und ihm erklärt, er habe einen Unfall mit solchen Folgen billigend in Kauf genommen, herrscht bei mir die Meinung vor, dass ein Mord etwas anderes ist. Ein Mörder ist der Typ mit der Axt (aus den Filmen), die Giftmischerin, was auch immer. In Zusammenhang mit einem Motorradunfall scheint es mir nicht ganz so passend, einen Mordprozess zu beginnen. Es passt halt irgendwie nicht.

Die andere Seite der Medaille

Natürlich ist es anders herum auch nicht viel besser. Bei „normalen“ tödlichen Unfällen, auch recht groben, wird Anklage wegen fahrlässiger Tötung erhoben, der Verantwortliche wird dann zu einer teilweise schon lächerlichen Bewährungsstrafe verurteilt und gut ist. Auch unpassend.

Gibt es denn keine andere Lösung?

Sind wir mal ehrlich. „Alpi“ hat sich im Verkehr rücksichtslos verhalten. Er hat sich so sehr auf sein Fahrkönnen verlassen, dass er in maßloser Selbstüberschätzung schließlich Unfälle verursacht hat. Wahrscheinlich etliche, ohne dass er etwas davon mitbekam. Er hat Rennen gegen die Stoppuhr gefahren, sich damit in YouTube-Videos gebrüstet und sich durch Polizei und Justiz unverwundbar gewähnt.

Aber es muss doch noch etwas anderes geben, als so einen zum Mörder zu stempeln. Straßenverkehrsgefährdung? Ja, bestimmt. Mit ordentlicher Strafandrohung. Beweisvideos gibt (oder gab, jetzt ist alles gelöscht) es bei YouTube ausreichend. Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr? Ja, kann ein Jurist bestimmt auch aus den Aufnahmen stricken. Nötigung? Bestimmt auch drin. Fahrlässige Tötung? Ja, auf jeden Fall.

Das Problem ist glaube ich ein wenig bizarr. Auch wenn die genannten Straftatbestände für den Motorradunfall locker passen könnten gibt es das Problem, dass solche Straftaten ja niemals mit den Höchststrafen abgeurteilt werden. Eher gilt dann wieder etwas wie „Geldauflage und 12 Monate auf Bewährung“. Und deshalb wird „Alpi“ jetzt als Mörder verfolgt.

Mein Vorschlag

Zugegeben, diese „Amokfahrten“ sind schwachsinnig. Und auch der Dümmste hätte voraussehen können und müssen, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis tatsächlich jemand tödlich verletzt wird. Und auch als Motorradfahrer ist es eben nicht immer nur die eigene Haut die zu Bruch geht. Immer wieder werden auch andere da hineingezogen.

Aber andererseits ist es doch auch gerade diese fehlende geistige Reife, die genau zeigt, dass „Alpi“ eben kein Mörder im eigentlichen Sinne ist. Er hatte die schwachsinnige Idee, sich im öffentlichen Straßenverkehr wie auf einer Rennstrecke zu verhalten. Wahrscheinlich sogar, weil es ihm auf einer Rennstrecke von den Fertigkeiten her halt doch nicht gereicht hat. Und irgendwann ist dann passiert, was passieren musste. Es hat halt gekracht, das Motorrad erfasst einen Rentner, der die Straße überquerte. Und der ist eben tot, weil man Deppen, die Computerspiele a la GTA mit der Realität verwechseln, nicht früher aus dem Verkehr zieht.

Deshalb: Verurteilt „Alpi“. Sperrt ihn ein, jahrelang wenn nötig. Aber doch bitte nicht für immer als Mörder. Das ist er nämlich nicht.