Eine unglaubliche Begegnung der dritten Art

Bei der Arbeit lese ich immer mal wieder Emails, die mit dem Satz „Aus gegebenem Anlass …“ beginnen. So könnte dies auch hier stehen. Ich war nämlich am vergangenen Wochenende ein bisschen mit der BMW unterwegs, da habe ich eine recht interessante Beobachtung machen können.

Wie war das also? Mittlerer Schwarzwald, wenig Verkehr, ich rolle so vor mich hin. Auf einmal ist eine größere Gruppe Motorradfahrer vor mir. Die haben es nicht gerade eilig. Mit 70-80 km/h brummeln sie dahin, vor kurvigen Abschnitten wird die Geschwindigkeit noch weiter reduziert. Klar, als Gruppe ist man nicht so zügig unterwegs, trotzdem finde ich, dass ein klitzekleines bisschen Schräglage beim Motorradfahren jetzt doch nicht so verkehrt ist. Trotzdem vermeidet das die recht homogene Gruppe vor mir. Egal, muss ja nicht jeder so mit seinem Motorrad unterwegs sein, wie ich.

Ich entschließe mich recht bald, zu überholen. Nur ist das in diesem Fall gar nicht so einfach. Es handelt sich um eine Gruppe von zwanzig Motorradfahrern, welche recht „kompakt“ vor mir herfahren. Da ist irgendwie keine Lücke, in die ich mich ohne „Gewalt“ reindrängeln kann. Und das Grüppchen in einem Schwung zu überholen, ist auch nicht so einfach. Also hinterher gurken. Vielleicht bietet sich ja später die Chance, vorbei zu kommen. Inzwischen bin ich auch nicht der einzige, der hinter der Gruppe her schleicht, hinter mir sind schon zwei Autos. Hoffentlich denken die nicht, ich hab was mit denen vor mir zu tun.

Wenigstens kann ich die Zeit nutzen, um die vor mir fahrenden ein wenig zu beobachten, quasi eine eigene kleine soziologische Studie.

Allesamt fahren vor mir Motorräder, die man wohlwollend als „alternative“ Cruiser und oder Chopper bezeichnen könnte. Eisenhaufen, nicht gerade von Harley Davidson, eher so die Sparversion von Suzuki und Konsorten. Und auch nicht immer die hubraumstarken Varianten, ich meine mitten in der Gruppe eine alte Virago ausmachen zu können.

Bei den Fahrern (ausschließlich männlich, soweit ich erkennen kann), fällt auf, dass sie quasi eine Einheitstracht tragen, die meisten sind in Jeanshosen, kurzem Hemd und darüber eine Jeans- oder Lederweste. Dazu einen Halbschalenhelm und Sonnenbrille, fertig ist die „Uniform“. Beim zweiten Blick fallen mir diverse Aufnäher auf, die jeder trägt, irgendwelche Motorradfreunde aus einem Kaff, von dem noch nie jemand gehört hat. Das Rätsel ist gelöst. Ich habe hier auf der Straße vor mir wahrscheinlich die jährliche Ausfahrt der Motorradfreunde Kleinkleckersdorf oder so.

Inzwischen sind wir auf eine Kreuzung gestoßen. Die Gruppe hält an, es ist irgendwann frei, alle rollen los. Na ja, nicht alle gleichsam. Zwei aus der Gruppe scheren aus und „sperren“ die Querstraße ab. Dort kommt eh kein Verkehr, aber das hätte ich schon gerne gesehen, was passiert, wenn dieses Grüppchen für sich Verbandsrechte in Anspruch nimmt und jemand das halt nicht so einsieht. So ganz spontan.

Na ja, vorbei kann ich immer noch nicht, ich schleiche weiter hinterher und mache mir meine Gedanken. Also weiter meine Soziologiestudie ausbauen. So wie diese Gruppe vor mir aussieht mit ihren Motorrädern, glaube ich schon, alles einordnen zu können. Handwerker, Büroangestellte, Familienväter; sie alle gönnen sich hier bei ihrem Motorradverein eine Art Outlaw-Etappe, das Gefühl, zu den „bösen Jungs“ gehören zu können. Sie haben sich in ihrem zweiten Frühling, nachdem sie in der Jugend halt mal den Motorradführerschein gemacht haben, jetzt endlich den lang ersehnten Traum erfüllt. Eine eigene Maschine. Und weil es nicht für eine „richtige“ Harley gereicht hat, wurde es halt nur eine Intruder (und davon die kleinste). Das Motorrad ist natürlich nur über den Sommer angemeldet – wer will schon im kurzen Hemd und Weste im Winter fahren?

Alle zwei Wochen trifft man sich zum Motorradstammtisch und führt „Benzingespräche“: „ich hab letzten Winter Umbauten vorgenommen, zwei neue Satteltaschen“ und ist ganz allgemein von dem guten Gefühl beseelt, nicht mehr dem „Mainstream“ anzugehören.

Alleine fahren die Jungs aber nicht. Sie spüren irgendwie tief innen drin, dass sie, wenn sie mit ihrer Maschine am Sonntag Morgen an der Staumauer am Schluchsee einlaufen, schon ein wenig belächelt werden. Daher kann man sie nur als Gruppe unterwegs sehen. Dann aber richtig.

Da wird dann aufgefahren. Als größere Gruppe unterwegs wagt keiner, unsere „Outlaws“ zu belächeln. Wer würde sich denn so weit aus dem Fenster lehnen und meckern, nur weil sie mit ihren Eisenhaufen, dann auch noch gepaart mit mangelnder Fahrpraxis, die gesamte Landstraße zumachen? Mangelnde Fahrpraxis? Ja, bestimmt. Wer niemals alleine, einfach mal an einem schönen Nachmittag oder einem frühen Sonntagmorgen eine Runde dreht, wird mit Sicherheit nicht besonders viele Kilometer pro Jahr zusammen bekommen. Behaupte ich nun einfach mal.

Ich jedenfalls, immer noch hinter der Gruppe, bekomme inzwischen einen dicken Hals. Immerhin machen die jetzt seit knapp zehn Minuten die Straße vor mir dicht. Das Geläuf wird kurviger, die Geschwindigkeiten immer niedriger.

Ich habe ja so langsam das Gefühl, dass auf Grund der niedrigen Geschwindigkeiten die Gefahr besteht, dass meine Maschine in der nächsten Kurve umfällt. Für den Motorradverein vor mir gilt das nicht. Immerhin kann man bei einem 240er Hinterreifen die Maschine auch ohne Ständer abstellen. Da besteht also keine Gefahr.

Ein Überholen ist immer noch nicht möglich. Hinter mir haben sich noch mehr Pkw angesammelt. Schon irgendwie traurig, wenn man mit dem Motorrad den langsamsten Verkehrsteilnehmer darstellt.

Schließlich gebe ich auf. Nächste Abzweigung rechts ab, die Straße ist frei, ich drehe den Hahn auf. Eine knappe halbe Stunde später, ich habe meine imaginäre Studie zum Thema Verhaltensforschung schon wieder vergessen, halte ich kurz an und gönne mir einen Kaffee und ein Riesenstück Kuchen. Und während ich da sitze, kommt es wie es kommen muss, ich sehe auf dem Parkplatz unterhalb eine Gruppe von etwa 20 Motorrädern auf den Parkplatz einbiegen. Alle steigen ab, der eine oder andere zündet sich eine Zigarette (oder was noch besser ist: Zigarillo) an, dann kommen die auch auf die Terrasse des Cafes geschlendert. Sie marschieren an mir vorbei, schauen ein wenig abschätzig zu mir rüber (alte Textiljacke, abgewetzte Lederhose und gammelige Endurostiefel), belegen einige Tische und fangen an, über ihre großartige Tour zu diskutieren.

Und hier fällt bei mir der Entschluss, dass man das durchaus als eine exemplarische „Studie“ zum Thema Motorradfahrer hernehmen kann.

Bin ich jetzt der einzige, der solche organisierten Vereine kritisch betrachtet? Muss ich mir Sorgen machen, „falsch“ Motorrad zu fahren? Oder gehört das tatsächlich zu einer anderen Facette des schönsten Hobbys der Welt?